Am 31.05.2021 interviewte Andreas Landl den Unternehmensberater Elmar Türk zum Thema Phasenmodell. Was ist das Phasenmodell und was hat es mit VREDE zu tun? Türk skizziert außerdem den Entwicklungsprozess des VREDE Tools.
Wer ist Elmar Türk und was hat ihn zu VREDE geführt?
Elmar Türk ist als Unternehmensberater tätig. Als Berater in der Konfliktarbeit hat er ständig Kontakt mit Menschen, die schwierige Entscheidungen treffen müssen. Außerdem beschäftigt er sich seit mehreren Jahren mit dem Systemischen Konsensieren, welches er gerne zur Konfliktlösung einsetzt. Durch sein Engagement in dieser Community hat er Dorothea Erharter, die Quelle und Konsortialleiterin von VREDE, kennengelernt. Anfangs war er als externer Berater an dem Projekt beteiligt. Bald wurde er jedoch ein wichtiges Mitglied des VREDE-Teams.
Das Phasenmodell
Das Phasenmodell, so Türk, sei nicht nur für Führungskräfte hilfreich, sondern könne von jedem und jeder angewandt werden. Der Fokus liegt auf Menschen, die etwas miteinander entscheiden wollen. Entscheidungen werden ja sowohl im geschäftlichen, als auch im privaten oder zivilgesellschaftlichen Bereich getroffen. Entscheidungen müssen nicht immer in einer Gemeinschaft getroffen werden. Auch wenn sie letztlich eine Einzelperson trifft, ist es in der Regel weise, die Widerstände und Vorlieben anderer zu kennen und zu berücksichtigen.
„… auch, wenn ich etwas alleine entscheide, möchte ich vielleicht wissen, wie die anderen zu den möglichen Entscheidungen stehen.“
-Elmar Türk, Klären und Gestalten
Was ist besonders am VREDE-Phasenmodell für Entscheidungen?
Das Phasenmodell soll den Entscheidungsprozess erleichtern, weil Entscheiden nicht trivial ist. Es soll eine Orientierung über Phasen und logisch aufeinander folgende Schritte geben. Etwas Hochkomplexes wie Entscheidungen, das immer anders läuft, soll in ein hilfreiches Schema gebracht werden, ohne, dass es zu sehr eingegrenzt wird.
Als besonders spannend empfindet Elmar Türk, wie Menschen Entscheidungen treffen. Der Entscheidungsprozess einer einzelnen Person ist interessant, doch die vielen Prozesse, die zu einer gemeinsamen Entscheidung führen sind noch viel komplexer. Ein besonderer Fokus liegt auf letzteren.
Entscheidungen zu treffen ist fast so spannend wie Atmen. Es ist so selbstverständlich, dass man es unbewusst macht. Wichtige Entscheidungen müssen aber bewusst getroffen werden.
– Elmar Türk, Klären und Gestalten
Ist eine Entscheidung nach dem Phasenmodell immer notwendig? Müssen alle Entscheidungen in der Gruppe getroffen werden?
Nein. Laut Elmar Türk muss in jeder Situation abgewogen werden, ob es notwendig ist andere (betroffene) Personen einzubeziehen.
Beispiel Autofahren: „Wenn ich Auto fahre, auch wenn fünf andere im Auto sitzen, treffe ich keine gemeinsamen Entscheidungen beim Fahren. …“ Hier habe ich als Lenker*in die Verantwortung und keine Zeit gemeinsame Entscheidungen über Geschwindigkeit und Verkehrsregeln zu treffen.
Wenn die Fragestellung anders ist, zum Beispiel im Fall, dass nicht alle Passagiere dieselbe Destination haben, muss besprochen werden, wer wo aussteigt. Diese Entscheidung sollten Lenker*innen nicht alleine treffen.
Haupterkenntnisse zum Phasenmodell während der Forschung für VREDE:
- Die meisten Fehler auf dem Weg zu einer Entscheidung passieren am Anfang.
- Wo muss ich bewusst entscheiden?
- Schon die Frage, wie eine gemeinsame Entscheidung benannt wird, ist sehr bedeutsam. z.B. macht es einen Unterschied, ob ich eine geschlossene Frage formuliere („Soll Herr X gekündigt werden?“) oder eine offene Frage stelle („Zukunft von Herrn X und unserer Organisation“). Bereits mit dem Namen werden Optionen reduziert oder angeregt. Die erste Frage reduziert eine weitreichende und komplexe Entscheidung auf ein schlichtes Ja-Nein. Die zweite ermöglicht einen offenen Diskurs. Es wird ein weiterer Rahmen gesteckt, um Lösungen zu bedenken, die bei einer Ja-Nein
Frage untergehen.
- Wirklich interessante Entscheidungen sind diejenigen, bei denen ich meine Intuition (Erfahrungen aus der Vergangenheit) nicht einsetzen kann.
Hier kann die Erfahrung aus der Vergangenheit nicht die jetzige verwischen.
Professor Gerd Gigerenzer hat extensive Forschung in diesem Bereich betrieben. Er hat herausgefunden, dass die gemittelten Ergebnisse von ausgebildeten Laien oft besser waren als die von Experten. Ein berühmtes historisches Experiment als Illustration dafür ist die Schätzung des Gewichts eines Stieres. Der Durchschnitt der Laienschätzungen ergab das exakte Gewicht des Tieres, während die Experten wesentlich weiter daneben lagen.
- Man muss für gute Entscheidungen immer bedenken, ob nicht die Weisheit der Vielen die Tragkraft der Entscheidungen deutlich verbessert. Dies wird nach den bisherigen Erkenntnissen des Systemischen Konsensierens in der Regel der Fall sein. Es kann aber nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden, denn so Türk:
„A fool with a tool still remains a fool.“ (R. Buckminster Fuller)
Das Team macht sich jetzt daran die Erkenntnisse aus der Entscheidungsphasen-Forschung in erste App-Prototypen umzusetzen.
Gesamtes Video-Interview: https://youtu.be/ICJkf1kX9Po